Psychologische Sicherheit – nur so ein vager Begriff?
- Arthur Krier
- 9. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Der Begriff
In "psychologische Sicherheit" steckt "Sicherheit".
Damit finden wir uns bei einem grundlegenden Bedürfnis ein, welches glücklicherweise in weiten Bereichen unseres Alltagslebens erfüllt ist. Auch im Arbeitsumfeld bewegen wir uns meist frei, ohne Sorge um unsere körperliche Unversehrtheit oder unser Eigentum. Wir können uns also - zumindest weitestgehend - sicher fühlen.
Doch wie steht es um unser inneres Sicherheitsgefühl – darum, wie sicher wir uns im Miteinander wirklich fühlen? Gibt es nicht vielleicht doch zahlreiche Situationen oder Aktionen, die uns verunsichern?
Nicht nur in Teams, die Software entwickeln, sondern überall dort, wo es darauf ankommt, innovativ und mutig zu sein, mit den eigenen Produkten Kunden zu begeistern und einen Schritt vor der Konkurrenz zu sein, spielt psychologische Sicherheit eine ausschlaggebende Rolle.Wenn man nur das anwendet, was man bereits kennt, wenn Risiken immer vermieden und Fehler gescheut werden, wird wenig Raum bleiben, um bahnbrechende und mitreißende neue Wege zu finden und zu gehen.
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Teams und damit jedes einzelne Teammitglied sich trauen muss, in ungewisse Gefilde vorzudringen. Es muss möglich sein, Ideen sprudeln zu lassen, im Austausch auch offen Kritik auszusprechen und all das zu begrüßen, was Mut und Offenheit sonst noch an Nebenwirkungen mit sich bringen.
Diese Haltung kann nur eingenommen und ungebremst gelebt werden, wenn keine negativen Konsequenzen drohen. Wenn das Umfeld dies also unterstützt und fördert, kann von psychologischer Sicherheit gesprochen werden. Mit Konsequenzen, die eine negative Auswirkung haben, sind nicht nur konkrete Bestrafungen oder Warnungen gemeint, sondern auch nicht adäquate Reaktionen von Vorgesetzten oder Teammitgliedern. Diese können die Sorglosigkeit von Ideenbringern dämpfen.
Zuerst wurde das Konzept der psychologischen Sicherheit von Amy Edmondson 1999 in ihrem Standardwerk zu dem Thema wie folgt definiert:
"Psychologische Sicherheit ist ein geteiltes Empfinden im Team, dass das soziale Umfeld sicher ist, um zwischenmenschliche Risiken einzugehen." [1]
Es ist bemerkenswert, dass bis heute keine grundlegende Kritik an ihrem Konstrukt aufkam, sondern dass es auf breiter Ebene anerkannt wurde und wird. Google hat z.B. festgestellt, dass ein hoher Wert an psychologischer Sicherheit die Performance von Teams verbessert und somit für mehr Erfolg sorgt.[2] Im Laufe der Zeit sind noch zahlreiche weitere Studien entstanden, die die Bedeutung von psychologischer Sicherheit bestätigt haben.[3]
Die Praxis
Da wir nun ein Verständnis vom Begriff und der Relevanz von psychologischer Sicherheit haben, stellt sich natürlich die Frage, wie diese in Unternehmen, in Teams und unter Kollegen gefördert werden kann.
Vorbilder
Damit ich mich als Teammitglied in einer Organisation ohne Sorge oder Scheu immer offen auch mit brisanten Standpunkten äußern kann, ist vor allem eines wichtig: Ich will sehen, dass das funktioniert und möchte es erleben. Insbesondere ist mir der Eindruck wichtig, den mir Teamleiter, Scrum Master, Produktmanager, Steakholder oder auch Vorgesetzte vermitteln. Wenn diese Menschen um mich herum mutige Offenheit an den Tag legen, wenn sie eigene Fehler präsentieren und zugeben, wenn sie mit offenen Fragen auf Experten im Team zugehen und ihr Unwissen nicht verstecken, dann ist das ein elementarer Grundstein, auf den aufgebaut werden kann.
Mache im Team deutlich, dass Fehler willkommen sind und als Lernchancen verstanden werden. Lebe vor, dass Unwissenheit zu jedem von euch gehört. Vermittle dem Team deutlich, dass du Kritik nicht nur annehmen kannst, sondern dass du diese auch forderst.
Wie? Etwa indem du Formate einführst, in denen ihr Fehler austauscht und feiert, indem ihr Feedbackrunden lebt und grundlegend natürlich immer auch aktiv zuhört.
Lernumgebung
Moderne Arbeitsumgebungen sehen sich immer mehr heuristischen Herausforderungen gegenübergestellt.[4] Um dabei bestehen zu können, müssen sich Teams in eine Art Lernmodus versetzen. Die Antwort auf die Frage, wie ein Problem gelöst wird, steht nicht schon von Anfang an fest. Es muss experimentiert, unterschiedliche Wege müssen verglichen werden. Wir müssen also lernen, wie wir die beste Lösung erarbeiten.
Etabliere also eine lernorientierte Umgebung, die sich von einer rein leistungsorientierten Umgebung abgrenzt.
Wie? Etwa indem du in Retrospektiven immer wieder zurückschaust und mit dem Team lernst. Oder indem du Formate wie Popcorn Flow einführst, die betonen, dass es mehrere Wege zur Lösung gibt und der beste durch try & error gesucht wird.
Gleichwertigkeit der Kommunikation
Jedes einzelne Teammitglied hat eine Meinung, die es verdient, gehört zu werden. Es darf hierbei keine Hierarchien geben, sonst werden Äußerungen an bestimmten Stellen doch wieder zurückgehalten, weil der andere besser sagen soll, wo es lang geht. Oft wird stillschweigend angenommen, dass erfahrenere Kollegen ohnehin die besseren Antworten haben – und so schweigt man lieber. Das ist eine Haltung, die dem Ziel, ein innovativ und mutig voranschreitendes Team zu haben, stark entgegenwirkt.
Lass also alle spüren, dass jeder Beitrag zählt, unabhängig von Hierarchie, Alter, Geschlecht oder Erfahrung.
Wie? Sprich stille Personen aktiv an und frage nach deren Meinung. Ermuntere sie, Gesagtes von vermeintlichen Experten zu hinterfragen, unterbreche selbstverliebte Dauerredner. Dies kann z.B. in Retrospektiven durch Gruppenarbeit gefördert werden oder durch rollierende Verantwortlichkeiten etwa bei der Moderation von Dailys. Alternativ kannst du z. B. Tools wie Mentimeter nutzen, in denen die Teilnehmenden anonym ihre Punkte angeben können. Dies führt häufig dazu, dass auch die Stillen sprechen.
Messbarkeit
Fragebogen
Es ist nicht ganz einfach ein letztlich doch subjektives Gefühl objektiv zu messen. Hilfreich kann dabei sein, dass nahezu jeder Wert sich durch skalierte Einschätzungsfragen ermitteln lässt. Man könnte Teammitglieder etwa folgende Fragen auf einer Skala von 1-10 bewerten lassen:
Wie leicht fällt es dir, das Vorgehen anderer im Team offen zu hinterfragen?
Äußerst du deine Idee gerne ganz spontan, ohne sie vorher genauer überprüft zu haben?
Wie leicht fällt es dir, Fehler, die dir passiert sind, offen im Team zu besprechen?
Usw.
Teaminteraktion & Einzelgespräche
Wenn aber die Schwierigkeit besteht, dass Offenheit nicht gelebt wird und Fehler sowie Schwächen lieber unter den Teppich gekehrt werden, dann werden auch Antworten hierauf leicht an die Erwartungen angepasst.
Erfahrungsgemäß erhält man ein besseres Bild, wenn man Teaminteraktionen aufmerksam beobachtet und sich dabei rein paar Orientierungsfragen zurechtlegt, wie etwa:
Wie ist der Redeanteil in Meetings unter den Teammitgliedern verteilt? Reden und schweigen immer die gleichen?
Wie ist die Reaktion auf Einwände und frische Ideen?
Werden Unsicherheiten offen gemacht, Fehler angesprochen und Wissenslücken zugegeben?
Sind nonverbale Zeichen von Ablehnung oder Zustimmung erkennbar?
Ist es Führungskräften bei Äußerungen von Kritik wichtig zu erfahren, wer diese Aussage getroffen hat?
Weiterhin können Einstellungen Einzelner in 4-Augen-Gesprächen in der Regel besser ermittelt und erfühlt werden, als dies durch Fragebögen erreicht wird. Hilfreich sind hierbei Situationen, die kürzlich im Team stattgefunden haben. Etwa eine Auseinandersetzung zu einem Thema in einem kürzlich stattgefundenen Meeting. Frage deinen Gesprächspartner, was seine Meinung zu dem Thema ist. Wenn er/sie diese ausgeführt hat, frage, was ihn/sie davon abgehalten hat, dies im Meeting zu äußern. So oder so ähnlich kannst du dich der Antwort auf die Frage nähern, wie sicher sich dieses Teammitglied fühlt.
Abschließend möchte ich nicht verpassen zu betonen, dass psychologische Sicherheit nicht bedeutet, dass es keine Konflikte geben darf. Ganz im Gegenteil: Konflikte bringen Teams vorwärts. Es ist der konstruktive und faire Umgang damit, der diese nicht zu negativen Auswirkungen kommen lässt.
Na, was denkst du? Bewegst du dich in einem psychologisch sicheren Umfeld? Willst du da etwas verbessern? Trau dich, das Thema anzupacken und wenn du noch mehr Fragen hast, melde dich sehr gerne bei uns! https://www.solufi.de/kontakt
Quellen
[2]Zusammenfassung der Google-Studie:https://blog.haiilo.com/blog/team-communication-key-takeaways-from-googles-project-aristotle/
Artikel aus der New York Times zu der Studie: https://www.nytimes.com/2016/02/28/magazine/what-google-learned-from-its-quest-to-build-the-perfect-team.html
[3]https://arxiv.org/abs/2109.15034?utm_source=chatgpt.com ...//... https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC9819141/?utm_source=chatgpt.com
[4]Heuristik […] bezeichnet Methoden, die mit begrenztem Wissen (unvollständigen Informationen) und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen kommen.
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Heuristik)
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