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Retrospektive „Frühjahrsputz“

Isabel Weber

In einem unserer letzten Workshops hat die Retrospektive „Frühjahrsputz“ dazu geführt, dass ein lange vernachlässigtes Thema – fehlende Verantwortlichkeiten für einzelne Module – endlich in den Fokus rückte. Das Ergebnis: Ein klar definierter Bereich zur Festlegung von Zuständigkeiten und eine verbesserte Kommunikationsstruktur, die das Team nachhaltig entlastet.


Was ist die Retrospektive „Frühjahrsputz“?

Kurz gesagt: Es geht darum, sich gezielt mit Herausforderungen und ungelösten Konflikten zu befassen, die bislang nie die nötige Priorität erhalten haben.


Warum die Retrospektive „Frühjahrsputz“?

Wie bei einem echten Frühjahrsputz geht es darum, Ecken zu reinigen, die im Alltag oft übersehen werden. Interessanterweise werden diese Ecken nicht wirklich übersehen – wir nehmen sie zumindest unterbewusst wahr (mehr dazu später). In Projekten und Teams gibt es oft Themen, die zwar immer wieder angesprochen, aber nie priorisiert werden. Die „Frühjahrsputz“-Retrospektive rückt diese in den Mittelpunkt und sorgt für nachhaltige Lösungen.


Das sind die wesentlichen Vorteile der Methode:

  1. Langfristige Problemlösung: Während viele Retrospektiven akute Herausforderungen adressieren, fördert die „Frühjahrsputz“-Methode eine strategische Betrachtung langfristiger Themen.

  2. Höhere Effizienz: Indem übersehene Probleme beseitigt werden, verhindert das Team negative Auswirkungen auf die Arbeitsleistung.

  3. Gesteigertes Engagement: Die Bearbeitung dieser vernachlässigten Themen zeigt dem Team, dass jeder Aspekt der Zusammenarbeit zählt, was das Gefühl der Wertschätzung fördert.

  4. Innovationspotenzial: Durch das Aufdecken unbeachteter Aspekte entstehen oft neue Perspektiven und Ideen.


Integration der Retrospektive „Frühjahrsputz“ in den Workshop

Wie kann diese Retrospektive praktisch umgesetzt werden? Der folgende Ablauf bietet eine erprobte Struktur:


1. Vorbereitung:

  • Analyse: Nimm dir als Moderator (z. B. als Scrum-Master) im Vorfeld Zeit, die Themen aus den letzten Retrospektiven (z. B. der letzten sechs Monate) zu analysieren. Stelle sicher, dass du die Themen identifizierst, für die bisher keine Maßnahmen beschlossen oder umgesetzt wurden. Diese sind auf Karten (physisch oder digital) vorzubereiten.

  • Material:

    • Karten mit den „versteckten“ oder vernachlässigten Themen.

    • Flipchart oder digitales Board zur Visualisierung der Themen.

    • Symbolische Requisiten wie ein Besen oder Staubtuch, um das „Frühjahrsputz“-Motiv bildlich zu verdeutlichen.

  • Zeitplan: Plane etwa 1,5 bis 2,5 Stunden ein, je nachdem, wie viele Themen anliegen und wie intensiv die Diskussionen werden sollen.


2. Einleitung (ca. 10-15 Minuten):

  • Erläutere das Konzept: Starte den Workshop, indem du das Konzept der „Frühjahrsputz“-Retrospektive erklärst. Vergleiche es mit einem echten Frühjahrsputz, bei dem Bereiche gereinigt werden, die im Alltag oft übersehen werden. Ziel ist es, dieses Mal Themen zu behandeln, die in bisherigen Retrospektiven keine Maßnahmen erfahren haben.

  • Regeln festlegen: Mache klar, dass Themen, für die bereits Maßnahmen getroffen wurden, diesmal bewusst nicht besprochen werden. Es geht darum, Neues oder bisher Vernachlässigtes zu beleuchten.


3. Themen sammeln (ca. 20 Minuten):

  • Themen sammeln: Gib dem Team anhand einer Brainstorming-Methode den Raum, die Themen zu sammeln und ggf. in einer Kleingruppe zu diskutieren.

  • Mit vorbereiteten Themen ergänzen: Ergänze bei Bedarf mit deinen vorbereiteten Karten die Themen, die bisher unbeachtet blieben.


4. Priorisierung (ca. 15 Minuten):

  • Lass das Team durch eine Methode wie Dot Voting (jeder erhält eine bestimmte Anzahl an Punkten) oder eine Diskussion die wichtigsten Themen priorisieren. Fokus sollte auf maximal drei Themen liegen, um eine tiefe Bearbeitung zu ermöglichen.


5. Bearbeitung (ca. 40-50 Minuten):

  • Diskussion: Gehe mit dem Team die priorisierten Themen durch. Nutze bewährte Techniken wie die 5-Why-Methode oder Fishbone-Diagramme, um den Ursachen auf den Grund zu gehen. Diskutiere, warum diese Themen bisher nicht angegangen wurden und wie sie nun effektiv gelöst werden können.

  • Maßnahmen festlegen: Für jedes Thema sollten konkrete, umsetzbare Maßnahmen beschlossen werden. Achte darauf, dass die Verantwortlichkeiten klar definiert sind und es einen zeitlichen Rahmen gibt, um das Thema anzugehen.

  • Praxisbeispiel: In einem Team wurde über Monate hinweg immer wieder über ineffiziente Meetings geklagt, aber nie eine Lösung gefunden. Erst durch die „Frühjahrsputz“-Retrospektive konnte das Problem tiefergehend analysiert werden, was schließlich zur Einführung eines neuen Meeting-Formats führte.


6. Abschluss (ca. 10 Minuten):

  • Reflexion: Frage das Team, wie sie die Methode "Frühjahrsputz" empfunden haben und ob es hilfreich war, diese sonst vernachlässigten Themen zu adressieren.

  • Feedback: Sammle Feedback, um die Methode in Zukunft weiter zu verfeinern. Eventuell könnte der „Frühjahrsputz“ zu einem festen Bestandteil eurer Retrospektiven-Strategie werden, indem dieser alle 6 Monate stattfindet.

 

Tipps für den Erfolg:

Damit die „Frühjahrsputz“-Retrospektive ihr volles Potenzial entfalten kann, ist nicht nur eine gute Vorbereitung, sondern auch eine gezielte Umsetzung entscheidend. Damit das Team tatsächlich von der Methode profitiert, sollten einige Schlüsselfaktoren beachtet werden:

  • Sicherstellen, dass das Team offen ist: Ein offenes Mindset ist essenziell für den Erfolg der Retrospektive „Frühjahrsputz“. Sorge dafür, dass die Teilnehmer verstehen, dass es hierbei nicht um Schuldzuweisungen geht, sondern um die Möglichkeit, langfristig den Arbeitsfluss zu verbessern.

  • Struktur & Zeitmanagement: Auch wenn es verlockend sein kann, sich intensiv in einzelne Themen zu vertiefen, ist eine klare Struktur und ein gutes Zeitmanagement wichtig. Plane ausreichend Zeit für Diskussionen ein, aber achte darauf, dass keine Phase des Workshops überhandnimmt. So bleibt der Fokus erhalten und das Team wird nicht überfordert.

  • Dokumentation: Damit die erarbeiteten Lösungen nicht im Alltag untergehen, sollten alle beschlossenen Maßnahmen nachvollziehbar dokumentiert werden. Am besten eignet sich ein zentrales Board oder ein digitales Tool, in dem die Verantwortlichkeiten klar definiert sind. So wird sichergestellt, dass die Maßnahmen nicht in Vergessenheit geraten.

  • Maßnahmen nachverfolgen: Eine erfolgreiche Retrospektive endet nicht mit dem Workshop – sie wirkt nach. Nur wenn die vereinbarten Maßnahmen regelmäßig überprüft werden, kann langfristig eine Verbesserung erzielt werden. Plane daher feste Check-ins oder Follow-ups ein, um die Fortschritte sichtbar zu machen und die Nachhaltigkeit der Ergebnisse zu gewährleisten.


Fazit: Der „Frühjahrsputz“ als wertvolle Ergänzung für Retrospektiven

Die „Frühjahrsputz“-Retrospektive hilft Teams, vernachlässigte, aber relevante Themen nachhaltig zu lösen. Sie verbessert nicht nur die Zusammenarbeit, sondern schafft auch eine offene Kommunikationskultur.

Warum also nicht beim nächsten Workshop einen „Frühjahrsputz“ einplanen? Teile deine Erfahrungen – ich bin gespannt, welche Erkenntnisse dein Team dabei gewinnt!


Noch eins weitergedacht: Nimm’s persönlich:

Wie eingangs erwähnt, „übersehen“ wir gewisse Dinge nicht wirklich – wir nehmen sie unterbewusst wahr. Das lässt sich wissenschaftlich erklären: Unser Gehirn filtert Informationen, um kognitive Ressourcen zu schonen. Dabei werden als „irrelevant“ eingestufte Reize – wie eine defekte Glühbirne in einer Lampe – zwar registriert, aber nicht bewusst verarbeitet. Doch das Gehirn erzeugt trotzdem unbewusst Mikrofrustrationen[1].


Dieses Phänomen lässt sich im Alltag nutzen: Mache deine eigene „Frühjahrsputz“-Retrospektive. Gehe bewusst durch deine Wohnung und notiere, was schon längst erledigt werden sollte. Plane Zeit ein und arbeite diese Punkte ab. Danach wirst du erstaunt sein, wie befreiend es sich anfühlt, wenn diese kleinen, aber ständig präsenten „Störfaktoren“ beseitigt sind.


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